Kapitel 1 - The Seed
Ich erwachte... hatte ich geschlafen? Wo war ich?
Langsam kämpfte ich die Schatten aus meinem Bewußtsein, begriff, dass ich auf beiden Beinen stand. Was war das für ein Gefühl in meiner Hand, so anders als das Gefühl, welches den Rest meines Körpers umgab... Hitze!
Etwas glühte in meiner Hand! Heiß wie Feuer und doch ohne mich zu verbrennen, ohne Schmerz zu verursachen. Erschien es mir nur so heiß, weil alles um mich herum so unglaublich kalt war? Warum frohr ich nicht?
Endlich begann ich, wieder etwas zu sehen. Dunkle Schemen in grauem Licht. Worauf stand ich?
Langsam senkte ich meinen Blick, als würde ich mir hinterher schauen, wie ich mir hinterher schaue...
Meine Füße waren nackt, standen auf heißem Boden, an vielen Stellen, kreisförmig mich umgebend kleine Brände. Mehr noch als die Tatsache, dass ich in einem kleinen, aber nicht zu leugnenden Krater stand, überraschte mich die Tatsache, dass ich ebenso nackt war, wie meine Füße...
Die Schemen zogen sich immer weiter zurück, das graue Licht verwandelte sich in hellen Sonnenschein. Verwirrt blickte ich mich um, während meine Augen immer klarer wurden. Was mich umgab war die Lichtung im Wald! Nur der Felsen war verschwunden. War er explodiert? Es musste so sein! Das würde den Krater erklären. Aber warum hatte ich dann... überlebt? Die Erinnerung kam zurück. Der Blitz!
Hatte er den Felsen gewissermaßen gezündet? Die Brände drängten sich in mein Bewußtsein. Wo waren meine Sachen? Gehetzt sah ich mich um, fand jedoch nichts Brauchbares. Dann bemerkte ich ein Funkeln am Rande des Kraters. Ich eilte draufzu, vielleicht fünf Schritte, dann hatte ich das Ding erreicht. Es handelte sich um das einzige Ding in meinem Besitz, das mich, abgesehen von meinen Papieren würde identifizieren können.
Meine Hundemarke. Ich weiß nicht, warum ich sie nach Beendigung meiner Dienstzeit immernoch bei mir getragen hatte. Was mich aber im Augenblick mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass ich hier nackt in Mitten eines frischen Kraters von gut zehn Metern Durchmesser stand, ein immernoch ungewöhnlich heißes, wenn auch nicht mehr glühendes Schwert in der Rechten und meine von großer Hitze geschwärzte Erkennungsmarke in der Linken - meiner Erkennungsmarke, die ganz im Innern meines Seesacks gesteckt hatte, zusammen mit meinen Papieren in einer kleinen Mappe, eingerollt in meinen Schlafsack!
Dann drängte sich mir ein weiterer Gedanke ins Bewußtsein. Ich stand hier nackt auf einer Lichtung, welche bekannt dafür war, dass mitten auf ihr ein gewaltiger Felsen lag, welcher sich aus ungeklärten Gründen in einen von kleinen Feuern durchzogenen Krater verwandelt hatte... und wo Feuer ist, ist auch Rauch!
Ich sah mich noch einmal gründlich um. So gründlich es geht, wenn man von plötzlicher Eile durchzuckt wird. Dann warf ich mich herum und fiel in einen lockeren Sprint. Ich durfte mich nicht verausgaben, musste aber schnell fort. Wer konnte wissen, wann wer auch immer das Feuer bemerken würde... und ich wollte nicht erklären müssen, was ich nackt und mit einem Schwert in der Hand mitten im Zentrum des Feuers zu suchen hatte.
Mit langen Schritten hielt ich auf den See zu. Es mochte sein, dass ich - barfuß oder nicht - Spuren hinterlies. Am Ufer würde sich das Problem lösen, der See besaß einen Strand aus Schiefergestein. Es würde unangenehm werden, darauf zu laufen, aber es würde keine Fußspuren geben. Nach einer Weile stockte ich. Hätte nicht längst der Uferweg kommen müssen, dann die Böschung und schließlich der Strand? Warum stieg das Gelände an, statt abzufallen? War ich am Ende in die falsche Richtung gelaufen? Ich blieb stehen und sah mich um, zum Himmel. Wo war die Sonne, an deren Stand müsste man doch die Himmelsrichtung erkennen können...
Was waren das überhaupt für Bäume? Der Mischwald hatte eine ungefähre Baumhöhe von zwanzig, vielleicht dreißig Metern gehabt, aber diese Bäume... sie waren gigantisch! durch ihr Blätterdach drang zwar Licht, aber erst jetzt wurde mir bewußt, dass dieses abseits der Lichtung nur indirekt war. Wo war ich?
Es mussten Stunden vergangen sein. Und es war offenbar früher Morgen gewesen, als ich vom Krater aufgebrochen war. Ich hatte mich entschieden weiter in die eingeschlagene Richtung zu gehen und im Laufe der Zeit war es erst noch etwas heller geworden. Mittlerweile schien das Licht über den Wipfeln der Bäume langsam zu schwinden. Dafür konnte ich seit einer Weile immer öffter Fragmente des Himmels durch das Blätterdach sehen. Die Bäume schienen kleiner und weniger zu werden.
Ich schritt in ordentlichem Marschtempo drein, so gut es ging mit nackten Füßen auf dem Waldboden. Den Gedanken, das Schwert zu verstecken oder mich mit dem, was der Wald mir bisher geboten hatte, provisorisch zu bedecken hatte ich schnell verworfen. Ich konnte es nicht glauben, aber es wurde mir immer klarer, dass das hier nicht mehr der Wald am See war...
Dafür nagte mittlerweile etwas anderes an mir: Ich hatte mich nicht verändert. So athletisch mein Körper auch gewesen sein mochte, als übermäßig muskulös hatte ich mich nie empfunden. Dass ich vom Stärksten der Starken abstammen sollte - okay - trotzdem hatte ich erwartet, dass ich mich, naja, hätte verwandeln sollen. Ich hatte das Schwert in den Himmel gestreckt und die Worte gesagt, es war ein Blitz niedergefahren... und statt mich zu verwandeln war der Fels unter mir explodiert und meine Kleidung war verschwunden. Zugegeben, offenbar war alles, was ich bei mir getragen hatte, mit Ausnahme der Erkennungsmarke die mittlerweile um meinen Hals hing zusammen mit dem Felsen verschwunden. Das Ausmaß der Verwüstung im Bereich des Kraters und die Tatsache, dass ich noch einige hundert Meter weiter rauchende Fragmente gefunden hatte, legten Nahe, dass mein Zeug schlicht verbrannt war. Was wiederum die Frage aufwarf, wie ich diese Hitze ohne den leichtesten Sonnenbrand überstanden hatte...
Und was war das für eine Erscheinung gewesen, die ich im Augenblick des Blitzeinschlags wahrgenommen hatte?
Ich weiß nicht, ob es Instinkt war, das Training während meines Militärdienstes oder schlichts Glück gepaart mit guten Reflexen. Als jedenfalls der Pfeil genau an der Stelle einschlug, an der ich eben noch gegangen war, hatte ich keine Zeit mehr, mich mit derartigen Gedanken zu beschäftigen...
Die Situation hätte fast lächerlich wirken können wie ich da stand, das Schwert meiner Ahnen in Abwehrhaltung vor meinem nackten Körper, Auge in Auge mit einem Mann, der vor einer Sekunde auf mich geschossen hatte. Seine Füße steckten in Stiefeln aus leichtem, rötlichem Leder und er trug eine Hose aus dem selben Material. Beides war mit bronzenen Plättchen verstärkt, ebenso wie seine Weste aus einem dunkelbraunen Fell. Stechende blaue Augen glühten unter seinem schwarzen, wilden Haarschopf hervor.
Er rief mich in einer fremden Sprache an, die ich nicht verstand, was ich ihm kopfschüttelnd zu verstehen gab.
„Ich verstehe deine Sprache nicht!“ Seine Augen weiteten sich überrascht, er senkte den Bogen, den er erneut gespannt hatte etwas, bevor er mit gebrochener Sprache antwortete.
„Du... sprechen Sprache von Freunde...“ Seine Stimme war kehlig und er dehnte das Wort „Du“.
Ich nickte heftig. „Genau. Ich bin ein Freund... ich will dir nichts Böses. Vorausgesetzt du schießt nicht nochmal auf mich.“
Er lies den Bogen vollends sinken. „Ich... schlecht sprechen Sprache. Komm!“ Er wandte sich halb zum Gehen. Dann zögerte er. Er griff hinter seinen Rücken, wo neben einem Köcher für seine Pfeile ein leichtes Gepäck seine Schultern belastete, zu dem eine Decke aus kurz geschohrenem Fell gehörte. Er warf sie mir zu und grinste. Dankbar wickelte ich sie mir um die Hüften und folgte ihm in eine ungewisse Zukunft.
Wir waren lange unterwegs, mein neuer Freund und ich. Bis weit in die Nacht hinein führte er mich mit traumwandlerischer Sicherheit aus dem Wald. In dieser Zeit sprachen wir kaum ein Wort, ich nutzte jedoch die Gelegenheit, ihn eingehender zu betrachten. Der Mann war einen knappen Kopf kleiner als ich und schmaler. Trotzdem wirkte er weder klein noch schwach. Im Grunde war er sogar zäh und kräftig... Am Waldrand angekommen hielten wir an.
„Du... rasten?“ Ich fühlte nicht das geringste Anzeichen von Erschöpfung, aber ich nickte.
„Wir beide sollten etwas ruhen, mein Freund...?“ Ich dehnte das letzte Wort zu einer Frage. Er verstand und rammte den Daumen gegen die Brust.
„Ich Gulm!“ Dann deutete er auf mich. „Du?“
Beinahe hätte ich ihm meinen Namen gesagt. Dann zögerte ich. Sollte ich meinen Namen nennen? Sollte ich mir einen anderen geben? Hatte ich mich verwandelt? Würde ich es noch tun? Dann kam mir eine Idee.
Ich schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich... weiß es nicht... ich... habe vergessen, wer ich bin.“
Gulm nickte verständnisvoll. „Amaa wird helfen...“ Er setzte sich gegen einen Baum.
„Amaa?“ Ich ließ mich ins Moos fallen. Es war nicht sonderlich warm, aber ich hatte noch immer nicht das Gefühl zu frieren. Ebenso wenig, wie mich der glimmende Boden des Kraters hatte verletzen können. Meine Fußsohlen waren mittlerweile wund, aber ich war auch viele Kilometer gelaufen. Nachdem ich inmitten eines schwelenden Kraters gestanden hatte.
„Amaa!“ Er überlegte. „Hexe!“
Wir saßen eine Weile schweigend beisammen. Dann begriff ich, dass mein Begleiter sich keinen Schlaf gönnen wollte, damit ich schlafen konnte. Ich versuchte ihn zu überreden, statt meiner zu schlafen, denn ich war immer noch kein Bisschen erschöpft. Schließlich musste ich aber einsehen, dass er sich darauf nicht einlassen würde. Nicht, weil er mir nicht traute, er schien mich als Gast zu betrachten, den es zu schützen galt.
Aus Höflichkeit schließlich rollte ich mich auf dem Moos zusammen und tat, als würde ich eine Weile schlafen.
Als der Morgen graute reckte ich mich und setzte mich auf. Mein Beschützer saß immer noch wachsam an seinem Baum. Als ich mich aufrichtete, erhob er sich.
„Du wach. Wir gehen.“
Froh, dass es weiterging, stand ich schnell auf und folgte ihm.
„Das Zuhaus!“ Erklärte Gulm. „Ist Ruine von alte Festung. Ist Symbol für Frieden zwischen Clans.“ Meine Augen weiteten sich. Sollte das...? Ich verbarg mein Erschrecken schnell wieder. Ich hatte ja mein Gedächtnis verloren.
Wir standen auf einer Hügelkuppe und blickten auf eine kleine Stadt am Ende des Tals. Einfache Hütten standen im Schatten der Ruine einer alten Festung. Der Bereich in dem sich einmal das Tor befunden haben musste war vollkommen eingestürzt. Und doch, wenn ich mir an Stelle des strahlend blauen Himmels einen Gewittersturm vorstellte... ein Schauder lief meinen Rücken hinab.
„Nennen Fistopolis.“ Erstaunt hob ich eine Augenbraue, froh, dass Gulm sich bereits in Bewegung gesetzt hatte und meine Reaktion nicht sehen konnte.
Als wir Fistopolis betraten eröffnete sich mir eine Siedlung von vielleicht fünfhundert Einwohnern. Die Menschen waren durchgehend von in etwa Gulms Größe und Proportionen. Sie kleideten sich einfach, Felle, einfache, raue Stoffe. Hier und da Metalle. Im Vorbeigehen erkannte ich, dass es in Fistopolis keinen Strom zu geben schien, dafür brannten verschiedene Feuer, je nach dem, zu welchem Zweck ihre Energie benötigt wurde kleiner oder größer.
Konnte das sein? Waren die Bewohner dieses Ortes tatsächlich auf solch primitivem technischen Stand? Oder übten sie sich vielleicht in Verzicht?
Gulm führte mich, vorbei an immer mehr mich neugierig musternden Menschen immer weiter auf die Ruine zu. Man begegnete mir weder unfreundlich, noch misstrauisch. Ich bot einfach eine kleine Sensation, der Große Mann, der barfüßig nur mit einer Decke bekleidet in ihre Stadt kam, ein Schwert in der Hand und ein schwärzliches und doch glänzendes Amulett um den Hals.
Und dann sah ich sie. „Amaa...“ Gulm und ich sprachen wie aus einem Mund.
"Willkommen, Krieger..." Sprach sie mich in meiner eigenen, der "Sprache der Freunde" wie Gulm sie genannt hatte, an. Sie war alt. Älter noch als jede Frau, die ich jemals zuvor gesehen hatte. Ihre früher wohl einmal hochgewachsene Gestalt war in sich zusammengesunken und sie stand, schwer auf einen von einer faustgroßen Kristallkugel gekrönten Stab gestützt, doch Kraft und Würde ausstrahlend vor uns auf der obersten von drei Stufen, welche einmal ins Hauptgebäude der Festung geführt haben mochten, in deren Ruinen Fistopolis gewachsen war. Ihre Haut wies eine schwach gelbliche Färbung auf und ihre Stimme klang warm und rauchig. Das lange Haar viel ihr strähnig und dünn bis hinab zu den Hüften, ihre Kopfhaut schimmerte deutlich sichtbar durch das weissgräuliche Gewirr...
"Ich hatte schon beinahe den Glauben an deine Ankunft verloren." Ihre Augen funkelten hungrig. Und doch irgendwie befreit.
"Ihr habt mich erwartet?" fragte ich gleichermaßen gespielt wie auch wirklich verwirrt.
Sie grinste wissend und fragend zugleich. "So ist es. Die Geister haben von deinem Kommen gesungen. Komm." Sie schaute zu meinem Begleiter. "Warte hier."
Dann drehte sie sich herum und stieg die einzelne Stufe wieder hinauf, die sie mir entgegengekommen war. Ich folgte ihr.
Der Platz, nun, es mochte zu anderer Zeit ein Thronsaal gewesen sein, war gesäumt von verschiedenen Zelten und Hütten. Deutlich war zu erkennen, dass die Mauern der Festung an vielen Stellen zu Gunsten des Baus solider Behausungen gelitten hatten. Ich wagte immer weniger zu glauben, dass dies der Ort gewesen sein mochte.
Die Amaa, die Hexe, führte mich auf ein größeres Zelt aus einem eigenartig lebendig scheinenden braunen Leder zu.
"Du brauchst zunächst etwas Kleidung," stellte sie fest, "danach reden wir."
Ich stellte trotzdem die Fragen, die mir am Dringlichsten auf der Seele brannten. "Meinen Namen habe ich abgelegt, als ich die Amaa des Stammes der Eisenmenschen wurde und die Zeit hat ihn längst vergessen." Ihre Antwort war im Grunde keine. "Was deine anderen Fragen betrifft, bitte ich dich mit ihnen zu warten, bis die Zeit gekommen ist, so wie ich dir keine Fragen stellen werde."
Wir erreichten das Zelt und eine breit gebaute Frau mit auffallend rotbraunem Haar ließ uns hinein, indem sie uns den Zeltvorhang hielt. Die Amaa sprach ein paar Sätze zu ihr in einer eigenartig an tierlaute erinnernden Sprache, während ich die Frau näher betrachtete. Ihr Körperbau erinnerte mich irgendwie an ein Fass auf Beinen, ihr Gesiicht war kantig, erinnerte mich beinahe an einen Affen. Gekleidet war sie in graue Felle und Leder. "Kurhah wird dir etwas geben, das dich mehr bekleiden wird, als Decke."
Schmunzelnd stand ich schließlich wieder vor dem Zelt und folgte der Amaa hinüber zu einer etwas windschiefen Holzhütte, die den Eindruck erweckte, dass sie nur stand, weil sie gegen die Außenmauer der Festung stieß. Kurah hatte meine Decke nicht nur behalten, sondern sie mir im Grunde vom Leib gezogen, als sie mir im Austausch einen Schurz aus zottigem Fell gab sowie STiefel aus ähnlichem, aber kürzerem Material. Nicht, dass ich mir nackt vorkam, aber wirklich bekleidet fühlte ich mich auch nicht, wenn ich mich so umsah. Aber ich beschwerte mich nicht. Ich war mittellos in diese Welt gekommen, ich konnte also kaum erwarten, wie ein König gekleidet zu werden. In solchen Dingen musste man realistisch sein.
Im Gehen hatte Kurah sich meiner erbarmt und mir noch eine lederne Schärpe übergeben, welche nun um meine Brust gebunden das Schwert auf meinem Rücken hielt.
"Ich bringe dich nun in das Heiligtum, dort..." Der schrille Schrei eines Mädchens unterbrach sie. Mein Kopf ruckte herum und mein Instinkt übernahm. Ich ließ die alte Hexe stehen und folgte dem verzweifelten Schrei, indem ich meinen Körper herum warf und unter Zuhilfenahme eines vor einer Hütte stehenden Tischs und dem Rücken eines Tiers, das einen Karren zog, über die Festungsmauer sprang.
Auf der anderen Seite fanden sich bereits die Leute der Umgebung ein um zu sehen, was los war. Gulm war unter ihnen. Er hörte nur ein, zwei Sätze lang dem schreienden Mädchen zu, dann warf er mir einen auffordernden Blick zu und wir rannten gemeinsam in die von ihm gewiesene Richtung.
***
Wenn man etwas von dem Wesen, das vor uns flüchtete sagen konnte, dann, dass es verflucht geschmeidig war. Es floh auf direktem Weg ins Unterholz des nahen Waldes. Doch wo die Pflanzen des Waldes Gulm und auch mich immer mehr aufhielten, obwohl wir ohne Rücksicht auf die Schrürfungen und Kratzer, die Zweige und Dornen auf unserer Haut hinterließen ebenfalls querfeldein preschten, schlängelte der Verfolgte sich beinahe ungehindert um jedes Hindernis, bis wir ihn schließlich verloren, als Gulm im Gestrüpp hängen blieb. Beinahe wäre ich seiner Aufforderung "Rette Kind!" nachgekommen, aber dann vernahm ich von über uns ein Geräusch.
Eine Mischung aus Knurren und zerplatzenden, zähflüssigen Blasen von sich gebend, senkte sich aus den Bäumen etwas auf den feststeckenden Gulm herab und dies war die unmittelbarere Bedrohung. Der Angreifer war groß, sehr groß. Ich hätte ihn als Anemone beschrieben, wenn er nicht so deutlich über Unmengen von widerhakenbewährten Reißzähnen und Augen an den Tentakeln gehabt hätte. Das Schwert längst in der Hand, um mir meinen Weg durch das Gestrüp zu bahnen, konfrontierte ich den Gegner, der sich umgehend vom verzweifelt an den dornengespickten Zweigen seines lebenden Gefängnisses riss, um loszukommen, mir zuwandte.
Im vollen Sturmlauf schoß mir kurz durch den Kopf, den Ruf auszustoßen, doch ich entschied mich unmittelbar, bevor ich und das Ungeheuer zusammenprallten, dagegen.
Wild brüllend schlug ich mit dem Schwert auf das Monster ein, das seinerseits wütend gurgelnd mir seine Tentakeln entgegenwarf, zwischen denen ich zwar nichts wie ein Maul aber jede Menge Knochen und skeletierte Schädel von mindestens vier verschiedenen Wesen unter einer dünnen, orangenen, zähflüssigen Massee ausmachte, die die gesamte Oberfläche der Bestie zu bedecken schien und auf meiner Haut brannte, wie Feuer, wo sie sie berührte.
Tentakel um Tentakel schlug ich ab und die Reißzähne auf den Tentakeln rissen mir ihrerseits manche Wunde, da ich gewissermaßen mit mehreren Gegnern zugleich kämpfend nicht jede Attacke abwehren konnte. Gulm hatte sich mittlerweile weit genug befreit, um seinen Bogen zum Einsatz bringen zu können. Sein warnender Ruf jedoch kam zu spät, als ich alles auf eine Karte setzte und mich der Wurzel des Übels entgegen warf genau in dem Moment, als er den Pfeil von der Sehne ließ...
Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und mich an den Tentakeln vorbei auf den Körper des Monstrums geworfen, das Schwert zu einem mächtigen Schlag erhoben, welcher beinahe bis zur Hälfte durchdrang, bevor es auf einen Widerstand wie von Knochen traf und stoppte. In diesem Moment schlug der Pfeil in den Rücken der Bestie und explodierte, wobei der das Ziel von innen heraus zerfetzte.
***
Kaum war der Kampf vorbei wurde ich mir der Schmerzen bewußt, die die Verdauungssekrete des Monsters auf meiner Haut und in meinen Wunden verursachten. Ich kämpfte, gestärkt von der Euphorie des Sieges, dagegen an, indem ich einen lauten, unbändigen Siegesschrei ausstieß. Gulm hatte sich derweil vollends befreit und stürmte auf mich zu. Sein Gesicht war von Sorge verzerrt, als er mich erreichte und auf den Boden riss. Sofort begann er, unverständlich auf mich einbrüllend, meinen Körper mit Erde vom Waldboden zu beschmieren. Es dauerte eine Weile, bis die Verwirrung der Erkenntnis wich, dass die beschmutzten Stellen meiner Haut nicht mehr brannten und ich begann, mich ebenfalls mit Erde abzureiben. Der Dreck in meinen Wunden würde sich später sicherlich noch rächen, aber ich musste die Schmerzen los werden.
"Du hätten mich zurücklassen sollen," brummte Gulm schließlich, als das Brennen nachließ und wir schwer atmend im Dreck hockten, "Schlangenmensch nun über alle Flüsse."
Ich nickte betroffen. "Ein Schlangenmensch? Gulm, du warst in unmittelbarer Gefahr, aber vielleicht finden wir ihn ja noch?"
"Er vom Clan des Schlangenfürsten, wir nicht finden, wir wissen, wohin er gegangen mit Kind." Er sah mich besorgt an. "Aber zuerst Amaa versorgen deine Wunden."
Er erhob sich und reichte mir seine Hand, um mich aufzurichten. Ich benötigte seine Hilfe tatsächlich, fühlte mich matt.
Mich auf ihn stützend hinkte ich zurück in die Richtung aus der wir gekommen waren. "Wir werden das Kind zurückholen, Gulm. Das verspreche ich dir!" Sein beherzter Griff verhinderte, dass ich stürzte, als meine Knie einzubrechen drohten. "Was für ein Monster haben wir da überhaupt erledigt?"
"Es Baumfischer. Töten Tiere, Menschen, essen ganz langsam mit giftige Spucke oben im Baum... du gerettet mein Leben." Ich spürte, dass meine Knie immer weicher wurden.
"Sieht so aus, als würdest du gerade das meine retten, mein Freund..."
Was er antwortete, hörte ich nicht mehr, denn mir wurde schwarz vor Augen...